Heidi Meinzolt, 28.02.2024
Sie haben keine Lösungen und darüber diskutieren sie auf der Sicherheitskonferenz,
denn sie wollen die Welt, die Menschen kriegstüchtig machen.
Sie kennen Wege zum Frieden und darüber diskutieren sie auf der Friedenskonferenz,
denn sie wollen die Menschen und die Welt friedenstüchtiger machen.
Es ist wie jedes Jahr, bitterer Ernst kurz nach Fasching
Die Einen sitzen hochdekoriert und geschützt im edlen Hotel, politische Elite, Wissenschaft, (Rüstungs-)Industrie und ein paar handverlesene Think-Tanks. Nicht immer sind alle überzeugt (Joschka Fischer 2009 zu Rumsfeld „I am not convincend“), aber man ist sich einig, Sicherheit als einen militärisch definierten Wert zu verteidigen, geostrategische Einflusssphären abzuklopfen und wachsende wirtschaftliche Unsicherheit durch Wachstum und globale Lieferketten durch die Sicherung der Transportwege zu bekämpfen. Kriege werden vorbereitet, seltener nachbereitet (Afghanistan?).
Man macht traditionell sich und andere kriegstüchtig in und mit der Allianz der „westlichen Wertegemeinschaft“ in der NATO.
Jedoch wurde schon auf der MSC im Jahr 2020 über ein weit verbreitetes Gefühl des Unbehagens und der Ratlosigkeit über die Zukunft und Bestimmung des Westens „Westlessness“ gesprochen angesichts der sich abzeichnenden Großmachtrivalitäten, einer fehlenden Strategie der transatlantischen Partnerschaft und drohender Gewalteskalationen in der Welt. 2022 hieß der Titel dann „Unlearning Helplessness“. 2023 stand die MSC unter dem Eindruck des brutalen russischen Angriffskrieges und titelte „Re:vision“ zu den Grundfesten einer regelbasierten Politik. Diesen Regeln multipolarer menschenrechtlicher Dimension haben sich die Eliten nicht wirklich angenähert, auch wenn es auffällt, wie die BRICS-Staaten Aufmerksamkeitspotentiale für die sich überlagernden Krisen und brutalen Kriege verschieben und sich die Themenpalette entsprechend erweitert.
Fazit: Man hat keine Lösungen und darüber diskutiert man
Die Broschüre, die zur Sicherheitskonferenz 2024 verteilt wird, spricht dafür wieder Bände „Lose – Lose“ (alle Berichte sind im Internet abrufbar):
„Der Munich Security Report 2024 widmet sich diesen Dynamiken, die drohen, am Ende alle zu Verlierern zu machen – wenn damit nämlich Kooperation auf der Strecke bleibt, die allen nutzt, und eine Ordnung untergraben wird, die trotz ihrer offensichtlichen Mängel die besten Chancen bietet, den sprichwörtlichen Kuchen für alle zu vergrößern“.
Mit Blick auf die geopolitischen Verschiebungen machen sich die G7- und NATO-Staaten große Sorgen, wie Pfründe auch zukünftig zu sichern wären und wie man mit den (neuen) Playern auf der Weltbühne zurecht kommen sollte, deren anwesende Außenminister von China, Indien, Saudi-Arabien, Ägypten in ihren Beiträgen ausdrücklich für Dialog und multipolare Verhandlungen warben. USA und die Länder der transatlantischen Partnerschaft aber lehnen genau das ab, denn „es gibt keine Chance mit Putin zu verhandeln!“.
So gibt es zwar erhöhte Aufmerksamkeit für die vertretenen Länder des globalen Südens, aber die Lager sind sortiert und der Westen/Norden dominiert, wie es z.B. der georgische Außenminister betont: “Additionally, we have had interesting meetings with the US delegation, acknowledging the United States as our main strategic partner… Russia may have failed to draw Georgia, Moldova, and the Western Balkans into its camp, but it still seeks to spoil their westward integration.” Da gleichzeitig Präsidentin und Regierungschef Georgiens aber gegensätzliche Strategien verfolgen, brodelt es zwischen zwei Lagern. Das trägt zur weiteren Verunsicherung der Bürger*innen bei und erhöht die Konfliktgefahr.
Das verbindende Hauptthema und die scheinbar zwingende logische Folgerung ist massive Aufrüstung, der Bau neuer Munitionsfabriken, neue Waffengenerationen mit immer höherer Zerstörungskraft, Umschichtung von Finanzen und Portfolios. Abschreckung bekommt neue Nahrung auch durch die Forderungen nach weiteren nuklearen Schirmen. Die Interessenlage der geladenen Rüstungswirtschaft trägt gerne dazu bei. Das sei der „neuen“ Zeitenwende geschuldet – nach der ersten am Ende des Kalten Krieges. Das Schwedische Friedensforschungsinstitut SIPRI, das laufend die astronomischen Zuwächse des Rüstungswettlauf dokumentiert, ist auf der MSC als Beobachter*in dabei – ob sie die Logik besser verstehen wollen, die hinter der MSC steht und wie ein Zirkelschluss anmutet: Unsicherheiten durch Waffen zu bekämpfen, die das Verunsicherungspotential grenzenlos machen?
Die neuen Dynamiken entwickeln einen Sog, der Politiker aller Couleur, Medien, und auch einige zivilgesellschaftliche Kräfte – geladene „embedded“ Think-Tanks – mitreißt. Panik wird verbreitet, denn was tun, „wenn der Russe bis zu uns kommt“, „wenn Trump nach seiner Wahl im Herbst uns Europäer fallen lässt? Realpolitisch agiert, wer die Kriegslogik definiert und die Kriegstüchtigkeit aller als Präventivmaßnahme fordert. Eine diplomatische Bankrotterklärung, wenn man nicht mehr verhandeln kann oder will. Wäre das nicht gerade die große Kunst?
Neben der Realpolitik bleiben die wenigen Emotionen den Auftritten von Wolodimyr Selensky und Julia Navalnaja überlassen, die wie Medien berichten die MSC „gerockt haben“.
Frieden, bzw. über Frieden zu reden, ist in dieser Gemengelage zu einer Leerformel verkommen. Die Menschen sind Zuschauer*innen der geostrategisch aufgestellten Eliten. „Pazifismus“ ist ein ferner Traum, so Robert Habeck zu Beginn des russischen Angriffskrieges – und dabei bleibt es in schlechten Zeiten.
Zur Friedenskonferenz
Schauen wir also auf die Friedenskonferenz, die von politischen Kräften (vorrangig der Grünen und der Sozialdemokrat*innen im Stadtrat) diskreditiert wird – einschließlich Budgetstreichung und weil „Politik zukünftig nichts mit Kultur(-förderung) zu tun haben solle/dürfe“, lt. Kulturreferent der Stadt München. Das ist nicht nur der politische Abgesang auf den UNESCO-Auftrags die „Kultur des Friedens“ zu fördern, sondern hier wurde ein Füllhorn kreativer Ideen zur Friedensbildung mit dem Bade ausgegossen. Sie fand dank großartigen ehrenamtlichen Engagements trotzdem statt. Was hier diskutiert und gedacht wurde, ist eine echte Alternative zum Kriegsgeschrei im Bayerischen Hof! Mehr zum Download und Nachhören auf der Seite https://friedenskonferenz.info.
Wie wohltuend ist es, wenn Michael von der Schulenburg auf dem Hintergrund seiner langen Erfahrung als internationaler Diplomat festhält:
„Die Ukraine braucht Frieden – Europa braucht Frieden, und dieser Frieden kann nur durch einen Waffenstillstand mit darauffolgenden Friedensverhandlungen erreicht werden. Diesen Krieg auf europäischem Boden zu beenden, ist unsere europäische Verantwortung. Er darf nicht in ein weiteres Jahr gehen und zu noch mehr sinnlosen Opfern führen. Deshalb erinnere ich die Bundesregierung an die ihr von der Verfassung auferlegte Verpflichtung, dem Frieden der Welt zu dienen, und fordere sie daher mit allem Nachdruck auf, gemeinsam mit unseren europäischen Verbündeten und Partnern und der ukrainischen Regierung alles zu unternehmen, um einen sofortigen Waffenstillstand und die Aufnahme von Friedensverhandlungen zu erreichen…“
Olga Karach, von der belarussischen Organisation „Unser Haus“ und u.a. WILPF- Mitglied, zur Zeit im Exil in Litauen baute ihren Beitrag auf der Forderung auf, dass zur Friedensbildung vor allem Menschlichkeit, die Unterstützung von Frauen- und Menschenrechten z.B. für Wehrdienstverweigerer und Dissident*innen gegen das diktatoriale Regime Lukaschenkos u.a. zählt. Sie ging insbesondere auch auf die besondere Rolle von Frauen in einem patriarchalen System ein, Gewalt in einem umfassenden Sinn anzuklagen und eine demokratische friedliche Zukunft vorzubereiten – auch unter der Gefahr selbst als Sicherheitsrisiko verfolgt zu werden.
Clare Daly die irische Europaabgeordnete malte ein Schreckensbild der Militarisierung der Europäischen Union zu Gunsten des militärisch-industriellen Komplexes, die in immer engerer Verzahnung mit der NATO den kalten Krieg als einen heißen wiederbelebe. Massive finanzielle Übertragungen – mit belegten Zahlen – aus der Sozial- und Umweltpolitik in den „Sicherheitssektor“, d.h. Militär, sind voll im Gang, so dass Werte wie Demokratie und soziale Gerechtigkeit, Klimaschutz, also all das, was Menschen wirklich sicher mache, willentlich geschliffen wurden. Der Friedensgedanke selbst als Grundfeste der EU ist militarisiert, wenn die gleichen Firmen von der Aufrüstung und im „Grenzschutz“ und der Migrationsabwehr profitierten und Konflikte innen wie außen schürten.
Der Appell an die Friedensbewegung:
„Schande über die, die uns diese Entwicklung zumuten. Unsere Zeit wird kommen, denn Frieden ist die einzige Überlebensgarantie für die Menschheit!“
Boniface Mabanza-Bambu aus dem Kongo verwies am 2. Abend darauf, dass die Profiteure des herrschenden Systems überall zu finden seien, gleichzeitig der Krieg selbst eine Katastrophe sei, durch die Libyen, Afghanistan, Kongo schon lange gegangen seien, ohne dass es eine vergleichbare Empörung der westlichen Länder gegeben habe. Das „neue“ Krisenbewusstsein des globalen Nordens wäre im globalen Süden durch Hunger, Armut, Klimawandel schon lange Teil der Geschichte. Aber Fehlentwicklungen könnten durch Militarismus und Abschottung nicht korrigiert werden. Gemeinsam müsse sich, angesichts der Dringlichkeit, die Weltgemeinschaft der Komplexität der Herausforderungen stellen, um Frieden erst einmal zu verstehen und ihre Handlungen dann danach auszurichten.
Olaf Müller, Philosophieprofessor zitierte zu Beginn seiner Ausführungen zum Pazifismus „wenn wir in den Krieg gehen, werden wir selbst immer barbarischer!“ Deshalb muss es eine andere Strategie geben, die miteinschließt, Hoffnungsschimmer auf der Welt erst einmal wahrzunehmen, Emotionen von der Liebe bis zur Angst zuzulassen, um aus der Spannung Harmonie herzustellen und nicht dem „Imperialismus der Vernunft“ zu erliegen, die in das Desaster der aktuellen „Realpolitik“ münde.
Zuletzt darf man nicht vergessen, dass Menschen aus Krieg und Not fliehen und vor unüberwindlichen Grenzen in und an der Peripherie Europas stehen. Die Tatsache, dass immer mehr Menschen auch bei uns in einer Wahrnehmungsblase leben, die Verhärtung der Gesellschaft übersehen und/oder selbst gewaltbereiter werden, gefährdet auch den inneren Frieden. Das zeigt sich exemplarisch und überdeutlich an einer mörderischen Asyl- und Flüchtlingspolitik. Aufmerksamkeit für das menschliche Leiden und ein Bewusstsein für menschliche Not und eine adäquate politische Antwort zu schaffen, gelang uns mit dem Film „Green Border“ der polnischen Filmemacherin Agnieszka Holland, den Olga Karach und ich mit Publikum diskutierten.
Hass und Abschottung sind keine Wege zum Frieden.
Nur das kontinuierliche Arbeiten an der Menschlichkeit in der Verantwortung jedes Einzelnen ist geboten.
Abschließend lässt sich sagen:
In allen Veranstaltungen rund um die Friedenskonferenz und die Anti-Siko-Aktivitäten ging es um Wege zum Frieden. Friedenslogik und Menschliche Sicherheit wurden in den Mittelpunkt gerückt – durchaus manchmal kontrovers. Es ging um andere Parameter: wie (Geschlechter-)Gerechtigkeit, ökonomisches Umdenken – weg von der kapitalistischen Wachstumsgesellschaft, die Stärkung und langfristige Förderung transnationaler grenzüberschreitender Begegnungen, die Betonung des Menschenrechts auf Kriegsdienstverweigerung, die Unterstützung von Care als Basis menschlichen Zusammenlebens im Sinne von Gemeinwohl, Dialog und Diplomatie – nicht nur mit Freunden, sondern gerade auch mit „Feinden“. Abschreckung und die Verweigerung von Diplomatie seien der falsche Weg.
Wie Miteinander eingeübt und praktiziert werden kann, wurde eindrücklich im Verhältnis von Israelis/Juden und Palästinensern/Arabern gezeigt durch Interventionen von Parents Circle und Combattants for Peace. Ein gewaltfreier Weg ist möglich!
In einer Stimmung erfüllt von Trauer über die vielen Toten, Verletzten, traumatisierten Kriegsopfer, vergewaltigte Frauen, hungernde Kinder, zerstörte Lebensperspektiven und Naturdesaster in der Ukraine, in Israel/Palästina und überall auf der Welt, wo Konflikte ausgetragen werden, war es doch tröstlich festzuhalten, dass das was wir als Friedensengagierte tun, auf so vielen Ebenen, nicht Gutmenschentugenden für gute Zeiten sind, sondern ein Auftrag, der keinen Zeitrahmen kennt und die einzige Alternative ist, zu mehr Menschlichkeit zurückzukommen.
Zwei Wochen nach der Friedenskonferenz und der Anti-Siko-Aktivitäten in München bleibt jedoch vorsichtig ausgedrückt ein schales Gefühl. Auch die Hochschule für Philosophie kündigt der Friedenskonferenz für 2025 die Räume, da sie dann als Mitgründerin der Bayerischen Wissenschaftsallianz für Friedens-, Konflikt- und Sicherheitsforschung die Räume rund um die MSC selbst in Anspruch nimmt und ein Defizit bleibt.
Krieg ist für uns keine Normalität und darf nicht dazu werden, denn es geht um viel mehr als um Geostrategie: Es geht um Solidarität mit den Kriegsopfern und Kriegsflüchtlingen auch bei uns in der Diaspora. Es geht um dringende Angebote für den Infrastrukturwiederaufbau, um die sozialen und ökologischen Folgen von Zerstörung und vergiftetem Land abzumildern, auch um massive Angebote für die Heilung von Kriegstraumata, für Männer, die erschöpft in der Armee dienen oder gedient haben oder gegen ihren Willen ständig von Rekrutierung bedroht sind. Es geht darum gegen die Diskreditierung/Kriminalisierung von bewussten Verweigerern – und ihren Unterstützer*innen anzugehen. Wir arbeiten gegen Heldenlegenden, Patriotismus und falschen Siegversprechungen, die die Katastrophe ermöglichen und die Eskalationsspirale antreiben.
Wir stärken uns gegenseitig, wenn wir über die Beendigung des Krieges sprechen, Wege zum Frieden organisieren – auch in Nischen und wenn wir die Diplomatie auf allen Ebenen fördern und fordern.
Wir dürfen „Abrüstung“ als grundlegendes Prinzip zur Lösung von Konflikten nicht aufgeben. „Abrüstung“ hat nicht nur mit Waffen zu tun, sondern mit der festen Überzeugung, an Gerechtigkeit zu glauben, an Chancen für gewaltfreie zivile Konfliktlösungen, an Ausbildung und Friedenserziehung. Wir brauchen Investitionen vom Kopf bis in die Haushalte.
Wir bauen mit den Menschen, die am meisten von Krieg, Gewalt und Ungerechtigkeit betroffen sind, Inseln für Frieden und Gerechtigkeit, fördern positive Nachbarschafts- und grenzüberschreitende Dialoge. Wir wenden uns gegen Profit und Privilegien des Kriegsmarktes, wir setzen auf Prävention in allen Konfliktphasen und gegen rechte Ausgrenzung.
Wir bestehen darauf, dass Pazifismus nicht des Teufels ist, sondern für ein aktives Engagement im Rahmen einer breiteren Friedensperspektive steht. Astronomische Militärausgaben verschieben die Prioritäten im Haushalt – weg von der Fürsorge. Die Absage und Diskreditierung von Friedenskonferenzen, ist eine Gefahr für den inneren Frieden unserer Gesellschaften und die Werte, die wir vorgeben zu verteidigen.
Wir müssen, wir werden einfach weitermachen!
Erstveröffentlichung hier: pressenza.com, Heidi Meinzolt, 28.02.2024
Heidi Meinzolt
ist Gymnasiallehrerin für Sprachen und seit den 1970ern in der Friedensbewegung und im transnationalen politischen Aktivismus aktiv. Sie ist Mitglied der Women’s International League for Peace and Freedom (WILPF) und dort internationale Vertreterin der deutschen Sektion und Europakoordinatorin, wobei ihr Schwerpunkt auf Alternativen zu traditioneller Sicherheitspolitik liegt. Sie war eine der Mitbegründerinnen der Partei Die Grünen in Bayern und zwischen 1987 und 1991 Landesvorsitzende der Bündnis 90/Die Grünen. Im Rahmen ihrer politischen Karriere bei den Grünen hatte sie verschiedenen Funktionen inne, wie die der Landesvorstandssprecherin sowie die der Sprecherin für regionale und nationale Arbeitsgruppen zu europäischer und Friedenspolitik. Sie war Vorstandsmitglied der europäischen Grünen, sowie Kandidatin für den Bundestag und das europäische Parlament. Im Jahr 2001 trat sie nach 19 Jahren bei den Grünen aus, um sich verstärkt anderen Initiativen und Nichtregierungsorganisationen zu widmen. Sie ist u.a. Gründungsmitglied des Frauensicherheitsrates in Deutschland und des Bündnis 1325 und Koordinatorin einer Arbeitsgruppe zu Frauen- und Geschlechterrealitäten in der Civic Solidarity Platform der OSZE.
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