Kontext

"Als ich die Ereignisse in meinem vergangenen Leben überprüfte, merkte ich wie subtil die Einflüsse sind, die unser Schicksal prägen."

Nikola Tesla, 1856-1943


Regierungserklärung Bundeskanzler Scholz zum Russland-Ukraine-Krieg am 27.02.22

"(...) Wir erleben eine Zeitenwende.

Und das bedeutet: die Welt danach ist nicht mehr dieselbe wie die Welt davor.

Im Kern geht es um die Frage, ob Macht das Recht brechen darf. (...)"

Olaf Scholz, 27.02.2022, phoenix, YouTube

Das ist der erhobene Zeigefinger, von dem Gerhard Schröder 2014 (s.u.) sprach.

Was genau meinte Bundeskanzler Scholz mit der Aussage, es gehe im Kern um die Frage, ob Macht das Recht brechen darf? Ist das ernsthaft eine Frage von ihm? Sollte diese diskutiert werden? Natürlich in dieser Situation nicht, er meinte das rhetorisch, da gäbe es eben nichts zu diskutieren (selbstverständlich nicht?!).

Jetzt gibt es aber an dieser Stelle ein ganz anderes Problem: 1999 war er nicht nur beteiligt an dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der NATO unter Beteiligung der deutschen Bundeswehr im Kosovo, sondern hat aktiv dafür geworben! Er beantwortete also seine jetzt gestellte - rhetorische - Kernfrage damals, denn da war sie noch nicht rhetorisch (!?), und v.a. umgekehrt. Heute: nein, damals: ja! Damals war es für ihn legitim, dass Macht das Recht brechen durfte. Da wurde 2 1/2 Monate lang das Land aus der Luft völlig zerbombt! Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes, denn die NATO hatte explizit zivile Ziele im Visier!

Der Luftkrieg der NATO war ursprünglich nur für wenige Tage vorgesehen und die Ziele für die Angriffe waren nach einem bestimmten Schema organisiert. Es gab 1., 2. und 3. Kategorien je nach Zieltyp und geplantem Eskalationsverlauf der Luftschläge. Dabei entsprachen die Typen 1 und 2 den militärischen Zielen, die 3. Kategorie den Zielen der zivilen Infrastruktur (!). Anfangs zielten die Luftangriffe der NATO nur auf Ziele der ersten und zweiten Kategorie. Da Milošević aber früh zu verstehen gab, dass er sich der Gewalt der Luftstreitmacht nicht ohne weiteres beugen würde und seine Armee vorzeitig in Deckung beordert wurde,

entschied die NATO relativ bald, eine Eskalation herbeizuführen und auch Ziele der zivilen Infrastruktur anzugreifen.

Für meinen Geschmack kommen die Worte NATO und Eskalation deutlich zu oft im gleichen Satz vor! Sie ist doch angeblich ein Verteidigungsbündnis? Wie definiert die NATO denn Verteidigung? Verteidigung durch Angriffe, Einmischung und Zündeln auf der ganzen Welt? Müssen jetzt dann unsere Werte auch im Niger verteidigt werden? Also die wertvollen Uranvorkommen, das Gold, das Öl...?

Und wie genau erklärt sich diese dauernde Umdeutung der Begriffe - wenn Russland die Ukraine beschießt, dann ist es ein "brutaler, völkerrechtswidriger Angriffskrieg". Wenn die NATO den Kosovo platt macht, dann ist es ein "operativer Einsatz" (Plenarprotokoll S. 2423), wenn sie im Niger mit den ECOWAS einen Krieg anzettelt, dann ist es eine "militärische Intervention". (zur Erinnerung: diesen Begriff haben übrigens die Russen letztes Jahr zu Beginn bzgl. der Ukraine verwendet)...


Plenarprotokoll 14/30 | Deutscher Bundestag

Stenographischer Bericht | 30. Sitzung | Bonn, Donnerstag, den 25. März 1999

Ausschnitte aus dem Protokoll:

"Das Problem ist aber, dass zu diesem Zeitpunkt niemand wusste, wann der Krieg beginnt, der gestern Abend bereits begonnen hat. Ich meine, dass auf dieser Grundlage die Zeitschiene einfach nicht mehr stimmt und dass es deshalb dringend erforderlich ist, auch heute wenigstens kurz darüber zu debattieren... Es ist undenkbar, meine Damen und Herren, dass die NATO gestern das erste Mal in der Geschichte nach 1945 einen Angriff auf einen souveränen Staat gestartet hat... und dass der Deutsche Bundestag am nächsten Tag mit einer BAföG-Debatte beginnt und nicht bereit ist, hier wenigstens kurz über diese Situation zu debattieren." Gregor Gysi, PDS

"Ich will darauf hinweisen, meine Damen und Herren, dass wir uns mitten in einem operativen Einsatz, in einer laufenden Operation befinden...", Wilhelm Schmidt, SPD

Zwischenruf Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:

"Im Krieg befinden wir uns, im Angriffskrieg!...

Es ist unwürdig für dieses Haus, dass Deutschland nach 54 Jahren seit gestern Abend wieder Krieg führt und dass sich dieser Bundestag weigert, darüber zu reden und auch nur seine Meinung zu äußern. Das ist ungeheuerlich. Ich verstehe meine Fraktion nicht, die für mehr Frieden in der Welt angetreten ist, die eine Friedenspolitik machen will.

Von deutschem Boden sind die Tornados gestartet, die jetzt gerade Belgrad bombardieren. Ich schäme mich für mein Land, das jetzt wieder im Kosovo Krieg führt und das wieder Bomben auf Belgrad wirft.

"Niemand hat dem, was unvermeidlich geworden ist, mit Freude zugestimmt... Aber, verehrte Kolleginnen und Kollegen, wenn wir unsere Verantwortung für Frieden, für Freiheit und für Menschenrechte ernst nehmen, haben wir keine Alternative. Deswegen muss unser geschlossener Appell an den Aggressor lauten: Das Morden in Europa muss aufhören!" Dr. Wolfgang Schäuble, CDU/CSU

Anm.: Kein Krieg ist unvermeidlich, schon gleich gar kein Angriffskrieg, es gibt immer eine Alternative und: der Aggressor war die NATO, die brutal und völkerrechtswidrig massenhaft Zivilisten bombardierte!

Ich hoffe, dass diejenigen, die uns oder mich persönlich, wie in den letzten Tagen geschehen, als Kriegstreiber bezeichnen, endlich die Antwort auf die Frage geben, was denn die Alternative zu dieser schwierigen Entscheidung gewesen wäre... Ich hoffe, dass wir auch danach noch sagen können, dass es das Richtige (sic!) war, dem wir gestern und heute zugestimmt haben." Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

"Vor allen Dingen sind viele Fragen gar nicht angesprochen worden, zum Beispiel die nach der rechtlichen Grundlage für den Krieg, der gestern begonnen hat... Sie alle wissen, dass die UN-Charta nur zwei Fälle des berechtigten militärischen Eingreifens kennt: den Fall der individuellen Selbstverteidigung oder kollektiven Selbstverteidigung im Rahmen eines Bündnisses und den Fall, dass der UN Sicherheitsratkein anderer; nur er besitzt das Gewaltmonopol, was aus guten Gründen nach 1945 so festgelegt worden ist – anordnet, zur Herstellung des Friedens militärische Maßnahmen einzusetzen.

Beide Voraussetzungen liegen nicht vor.

Die Bundesrepublik Jugoslawien – wie auch immer die inneren Zustände zu beurteilen sind – hat kein anderes Land angegriffen; deshalb liegt der Fall einer individuellen Selbstverteidigung oder kollektiven Selbstverteidigung nach Art. 51 der UN Charta nicht vor. Sie wissen genauso gut wie ich, dass der UN-Sicherheitsrat keine militärischen Maßnahmen nach Kap. VII der UN-Charta... beschlossen hat und dass er sich sogar ausdrücklich vorbehalten hat, über die weitere Situation zu beraten und zu entscheiden.

Die NATO hat ihm diese Entscheidung aus der Hand genommen; sie hat sich damit von der UNO abgekoppelt.

Ich sage Ihnen: Das zerstört eine Weltordnung; aber es schafft keine neue.

Auch ich kann mir eine bessere Weltordnung als die gegenwärtige vorstellen... Juristisch gilt – auch wenn es Sie sehr ärgert –: Wenn man einen Krieg führt, ohne selbst angegriffen worden zu sein, dann ist das ein Angriffskrieg und kein Verteidigungskrieg. Genau diesen verbietet das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Auch dagegen haben Sie verstoßen. Sie sprechen von der Sicherheit unserer Soldaten. Ich finde, die größte Unsicherheit besteht darin, sie in einen Krieg zu schicken, der weder völkerrechtlich noch durch das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland legitimiert ist...
Ich erinnere Sie an ein noch viel verbrecherischeres Regime, an das Pol-Pot-Regime. Damals griff Vietnam ein. Das wurde international mit dem Hinweis darauf verurteilt, dass sich das kambodschanische Volk selbst befreien müsse, solange Kambodscha keinen anderen Staat angegriffen habe. Ein Angriff durch Vietnam auf Kambodscha sei nicht gerechtfertigt. So lautete damals die Argumentation.

Als der US-Präsident vor kurzem im Senat seines eigenen Landes gefragt worden ist, warum die NATO nicht in Kaschmir oder in Burundi militärisch eingreife, sondern gerade im Kosovo in Jugoslawien, hat er geantwortet:

"Dort haben wir andere Interessen."

Das ist eine Begründung, die mit Moral nichts zu tun hat.

Wenn Menschenrechte gelten sollen, dann müssen sie universal gelten..."


"Ich habe gegen das Völkerrecht verstoßen" - Gerhard Schröder: Krim-Krise und Kosovo-Krieg

"Aber wissen Sie, warum ich ein bisschen vorsichtiger bin mit dem erhobenen Zeigefinger?

Weil ich`s nämlich selbst gemacht habe."

Was haben Sie gemacht?

"Gegen das Völkerrecht verstoßen!"

"Als es um die Frage ging, wie entwickelt sich das in der Republik Jugoslawien - Kosovokrieg - da haben wir unsere Flugzeuge, unsere Tornados, nach Serbien geschickt und die haben zusammen mit der NATO einen souveränen Staat gebombt - ohne, dass es einen Sicherheitsratsbeschluss gegeben hätte...

Ebenso, ich hab` wenig gehört von Kritik, als es im Irak so war..."

...Soviel zu den Interessen bzw. zur Doppelmoral. Und zum erhobenen Zeigefinger.


Tagesthemen Kommentar von Sonja Seymour Mikich, 05.03.2014

"Wir hörten nicht hin, als Putin sagte, dass der Zusammenbruch der Sowjetunion die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts war. Das ist nicht nur Phantomschmerz eines Autokraten, das traumatisiert Millionen Russen. (...)

1991 wurden mit einem Schlag 25 Millionen Russen im Baltikum, in Zentralasien, im Kaukasus zu Ausländern - manchmal sogar zu diskriminierten Staatenlosen.

Der Westen, insbesondere die geschichtsvergessenen USA, haben diesen Verlust an Einfluss nie verstanden. Auch nicht, wie die EU-Erweiterung nach Osten, wie vollmundige Gespräche - mit Georgien, mit Moldawien - in Moskau ankamen.

Verstehen heißt nicht akzeptieren.

Akzeptieren heißt auch nicht zueigen machen. Aber differenzieren könnte weiterhelfen, wenn sich morgen die Diplomaten wieder treffen..."

YouTube, Monika Hertlein, 05.03.2014


ARD "Tagesschau" 05.12.1994 mit Werner Veigel

"Am Anfang des Treffens stand ein offener Streit zwischen Russland und den Vereinigten Staaten über die geplante Osterweiterung der NATO."

"...befürwortet Bill Clinton eine Ausdehnung der NATO nach Osteuropa in die Staaten des früheren Warschauer Pakts Richtung Russland.

Boris Jelzin antwortet sofort und nimmt kein Blatt vor den Mund:

"Was bedeutet denn das für Russland? Soll es jetzt statt dem Kalten Krieg einen Kalten Frieden geben? Wollt ihr die russische Demokratie jetzt schon begraben? Warum dieses Misstrauen? Eine Ausdehnung der NATO bis nach Russland? Nein." (...)

Frankreichs Staatspräsident Mitterrand hat in Budapest Verständnis für die russische Ablehnung einer NATO-Erweiterung geäußert. Er schlug spezielle Sicherheitsgarantien der NATO vor, um die Moskauer Befürchtungen vor einer Isolierung zu zerstreuen."

"Am Rande des KSZE-Gipfels hat die Ukraine heute den Atomwaffensperrvertrag unterschrieben. Sie verpflichtet sich damit, alle noch aus der Sowjetzeit gelagerten mehr als 1.000 nuklearen Sprengköpfe an Russland abzugeben. Im Gegenzug garantieren die USA, Russland, sowie Großbritannien der Ukraine die Selbständigkeit und verpflichten sich, das Land weder anzugreifen noch mit wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen unter Druck zu setzen."