Im Libanon und in Syrien explodierten heute Nachmittag tausende Pager durch einen mutmaßlichen israelischen Cyberangriff, der wohl auf die Hisbollah zielen sollte. Hacker sollen die Lithium-Batterien aus der Ferne manipuliert, überhitzt und zum Explodieren gebracht haben.
Bisher ist laut dem libanesischen Gesundheitsminister Firas Abiad die Rede von über 2.800 Verletzten, davon 200 in ernstem Zustand, und 9 Toten. Die Zahlen steigen allerdings minütlich stark an. Die zehnjährige Tochter eines Hisbollah-Mitglieds sei auch unter den Verstorbenen, sie soll in der Nähe ihres Vaters gewesen sein, als der Pager explodierte. Der iranische Botschafter Mojtaba Amani soll verletzt worden sein.
Das Gesundheitsministerium rief zu Blutspenden auf "und fordert die Menschen im Libanon auf, sich von kabellosen Kommunikationsgeräten fernzuhalten. Gesundheitsminister Firass Abiad zufolge seien einige Krankenhäuser bereits an ihre Belastungsgrenzen gelangt" berichtet die Jüdische Allgemeine. Abiad zufolge haben die meisten Betroffenen Verletzungen "im Gesicht, an der Hand, am Bauch oder sogar an den Augen", "einige hatten Verletzungen am Unterleib".
Es handelt sich wohl um einen koordinierten Angriff, der sich relativ zeitgleich verteilt über ganz Libanon und auch in Syrien ereignete. Anwohner berichteten allerdings von Explosionen über eine halbe Stunde lang. Durch die südlichen Vororte der Hauptstadt Beirut sollen Krankenwagen "inmitten einer weit verbreiteten Panik gerast sein".
Das »Wall Street Journal« berichtet über einen Hisbollah-Vertreter, der erklärte, dass einige der Männer spürten, wie sich die Pager in ihren Hosen erhitzten und die Geräte noch rechtzeitig wegwerfen konnten. Seine Vermutung: die Batterien wurden durch eine Schadsoftware zur Explosion gebracht.
Ob es sich nun um einen Cyberangriff handelt oder die Geräte bereits mit vorinstalliertem Schadprogramm oder Sprengstoff ausgeliefert wurden, ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht eindeutig festzustellen. Letzteres liegt allerdings wohl näher.
Der ehemalige libanesische Verteidigungsminister Yacoub Sarraf bezweifelt einen Cyberangriff, geht von einem Code in den Geräten aus und schließt daraus, dass Israel diesen erhalten hat.
Der Militärexperte und Kriegsveteran Elijah Magnier geht weiter ins Detail: seines Erachtens benötigten die Geräte einen Sprengsatz und Fernauslösemechanismus, wofür Israel einen Zugang zur Lieferkette brauchte. "Hinter der Beteiligung eines Drittanbieters könnte eine Tarnung für die Geheimdienste oder ein mit Israel zusammenarbeitender Mittelsmann stecken, der die Verteilung dieser manipulierten Geräte an die Hisbollah erleichtert."
In diesem Zusammenhang fragt man sich, inwiefern die Pegasus-Software eine Rolle spielt (bzw. deren Herstellerfirma NSO Group), die im Übrigen auch von unserer Bundesregierung von Israel gekauft wurde.
Die Hisbollah veröffentlichte bereits eine Stellungnahme, in der sie Israel für die Explosionen verantwortlich macht und "Vergeltung für die „sündige Aggression“ ankündigt". Zudem führten die zuständigen Dienste eine groß angelegte Sicherheitsuntersuchung durch. Das Volk solle sich außerdem vor "Desinformationen und psychologischer Kriegsführung" in Acht nehmen.
Der libanesische Parlamentspräsident Nabih Berri erklärte: "Was Israel getan hat, ist nicht nur ein Massaker, sondern ein klares Kriegsverbrechen. Die ganze Welt ist aufgerufen, zu handeln, um die israelische Terrormaschine zu stoppen."
Das libanesische Außenministerium fügte hinzu: „Nach Rücksprache mit dem Kabinettspräsidenten wurde beschlossen, ein Beschwerdeverfahren [Libanon gegen Israel] beim Sicherheitsrat [der UNO] einzuleiten, sobald alle Daten bekannt sind.“
Eskaliert der Konflikt nun zu einem offenen Großkrieg?
Auf X schrieb der israelische Journalist Anshel Pfeffer (Haaretz, The Economist): „Ein Staat, der in der Lage ist, sich in das Kommunikationssystem einer feindlichen Organisation zu hacken, wird diese Fähigkeit nicht preisgeben, nur um die Agenten der Organisation zu verletzen, es sei denn …
1. Als Auftakt zu einer umfassenderen Operation
2. Um eine geplante Operation der feindlichen Organisation zu verhindern
3. Die (Schwachstelle) stand kurz davor, aufgedeckt zu werden
4. Sie haben bereits bessere Fähigkeiten
5. Ablenkung von einem großen (politischen oder nachrichtendienstlichen) Fiasko
6. Alle oder einige der oben genannten Punkte"
Bereits am Montag hatte Israels Verteidigungsminister Joav Galant davon gesprochen, dass ein "militärischer Einsatz" die einzige Möglichkeit sei, um Israels Kriegsziele zu erreichen. Die Hisbollah und der Libanon haben jetzt bereits Vergeltung angekündigt. Und wie wird der Iran reagieren?
Im Mai diesen Jahres sagte Aviram Atzaba, Leiter der internationalen Zusammenarbeit der israelischen Cyber-Direktion noch: "Es ist ein stiller Krieg, der nicht sichtbar ist.“
Das hat sich jedenfalls spätestens mit dem heutigen Tag erledigt.
Ein persönlicher Gedanke dazu:
Wenn die Geräte im Voraus manipuliert waren, mit Sprengsätzen zu Bomben umfunktioniert und ohne jegliche Satellitenüberwachung oder -bilder (wie es bei den Drohnenmorden gemacht wird - sie nehmen die umgebenden Menschen dann wissentlich als "Kollateralschaden" in Kauf), dann wussten die Verantwortlichen überhaupt nicht, wo sich die Geräte befinden, wer sie trägt und was sie gerade tun (reguläre Pager sind nicht wie Handys zu orten). Es hätte genauso gut tausende Kinder treffen können. Daneben: Verkehrsunfälle, Arbeitsunfälle etc. mit einem Vielfachen an weiteren Verletzten und Toten.
Edward Snowden äußert sich auf X folgendermaßen dazu (übersetzt):
"Was Israel gerade getan hat, ist, mit *irgendwelchen* Methoden, rücksichtslos. Sie sprengten unzählige Menschen in die Luft, die Auto fuhren (d.h. Autos außer Kontrolle), einkauften (Ihre Kinder sitzen im Kinderwagen hinter ihm in der Kassenschlange) und so weiter. Nicht zu unterscheiden vom Terrorismus."
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