Erst Pager, jetzt Walkie Talkies - Erstschläge für Großkrieg?

Veröffentlicht am 20. September 2024 um 00:38

Ein ganzes Volk als Kollateralschaden

Nachdem am Dienstag tausende manipulierte Pager v.a. im Libanon, aber auch in Syrien, explodierten, schrieb ich noch:

"...die Verantwortlichen wussten überhaupt nicht, wo sich die Geräte befinden, wer sie trägt und was sie gerade tun (reguläre Pager sind nicht wie Handys zu orten). Es hätte genauso gut tausende Kinder treffen können. Daneben: Verkehrsunfälle, Arbeitsunfälle etc. mit einem Vielfachen an weiteren Verletzten und Toten."

Jetzt äußerte sich Ravina Shamdasani, Sprecherin des UNO-Menschenrechtsbüros in Genf, beinahe wortgleich:

"Es verstoße gegen die  internationalen Menschenrechtsnormen, einen Angriff gleichzeitig auf tausende Personen durchzuführen, ohne zu wissen, wer das Gerät zum Zeitpunkt des Angriffs bei sich hatte oder wo und in welcher Umgebung die Person sich gerade befand."

Und UN-Hochkommissar für Menschenrechte Volker Türk sagte: 

"Das gleichzeitige Angreifen Tausender von Personen, seien es Zivilisten oder Mitglieder bewaffneter Gruppen, ohne Kenntnis darüber, wer sich zum Zeitpunkt des Angriffs im Besitz der Zielgeräte befand, und über deren Aufenthaltsort und Umgebung, verstößt gegen die internationalen Menschenrechtsnormen und, soweit anwendbar, gegen das humanitäre Völkerrecht

Susanne Nasr schreibt heute in ihrem Artikel "Es hätte jeden im Libanon treffen können, überall" im Stern: "Der über lange Zeit hinweg vorbereitete Angriff mag vor allem Mitgliedern und Kämpfern der libanesischen Hisbollah-Miliz gegolten haben – durch die Art der Ausführung und das Timing haben die Angreifer jedoch bewusst in Kauf genommen, dass es jeden und jede im Libanon treffen konnte, überall.

Ein ganzes Volk als Kollateralschaden."

Und weiter: "Gezielter Angriff auf Terroristen? Wohl kaum.

Regel Nr. 11 des Humanitären Völkerrechts besagt: "Unterschiedslose Angriffe sind verboten." Dazu gehören alle Angriffe, "bei denen Kampfmethoden oder -mittel angewendet werden, die nicht gegen ein bestimmtes militärisches Ziel gerichtet werden können".

Eine ferngesteuerte Zündung tausender Funkrufempfänger, wo oder in wessen Nähe auch immer diese sich gerade befinden, ist unterschiedslos. Was, wenn einer der Besitzer eines Pagers damit gerade zufällig an Bord eines Flugzeugs gewesen wäre? An einer Tankstelle sein Auto mit Benzin befüllt hätte? Einen Lastwagen durch ein belebtes Viertel oder auf einer Autobahn gesteuert hätte?"

Ein weiterer Ausschnitt aus dem "Humanitären Völkerrecht" (Kriegsvölkerrecht) - "Allgemeiner Schutz":

"Zivilpersonen und die Zivilbevölkerung genießen im internationalen bewaffneten Konflikt den allgemeinen Schutz vor den von Kriegshandlungen ausgehenden Gefahren. Sie dürfen nicht das Ziel militärischer Angriffe sein. Im Zweifel gilt eine Person als Zivilperson. Die Zivilbevölkerung bleibt auch dann Zivilbevölkerung, wenn sich unter ihr einzelne Personen befinden, die nicht Zivilpersonen sind (Kombattanten)."

Zweite Explosionswelle

 Doch es ging weiter: Am Mittwoch gab es eine zweite Explosionswelle. Diesmal explodierten Walkie Talkies, andere Funkgeräte, Handys und sogar weitere technische Geräte wie z.B. Solaranlagen (tazbr) und Laptops. Es gab Autounfälle, Brände und es verbreiteten sich Chaos und Panik im ganzen Land.

"Ein [...] Video aus der Notaufnahme [...] zeigt Szenen wie aus einem Horrorfilm: Männer mit zerfetzten Gesichtern, abgerissenen Fingern, tiefen Fleischwunden. Ein Kind oder Jugendlicher bewusstlos auf einer Liege, schreiende Patienten, vom Ansturm überwältigtes Personal... Als wir den Verletzten ins Krankenhaus trugen, sahen wir andere auf dem Bürgersteig liegen, einer hatte keine Augen mehr, bei einem anderen war die Hand zerfetzt...", so ein SPIEGEL-Mitarbeiter aus Beirut.

„Die meisten Verletzten haben schwere Augenverletzungen, andere Chirurgen mussten Arme amputieren“, laut einem Augenarzt in einem der großen Krankenhäuser in Beirut.

Mittlerweile gibt es 32 Tote und 3250 Verletzte, Hunderte befinden sich in kritischem Zustand und Viele mussten operiert oder auch amputiert werden.

Präventivschlag in Vorbereitung auf einen allumfassenden Krieg gegen den Libanon?

UN-Generalsekretär António Guterres sagte am Mittwoch bei einer Pressekonferenz in New York, es bestehe die "ernsthafte Gefahr einer dramatischen Eskalation. Die Logik hinter der Explosion all dieser Geräte besteht natürlich darin, dies als Präventivschlag vor einer größeren Militäroperation zu tun."

Selbst israelische Medien sehen das genauso: "Mehrere Kommentatoren im israelischen TV betonten, sollte Israel hinter der Aktion stehen, ergebe es keinen Sinn, wenn es nicht Teil eines größeren militärischen Plans wäre." Israel und die Hisbollah stünden am Rande eines offenen Krieges.

Anscheinend soll der israelische Geheimdienst Mossad dafür verantwortlich sein, wie zahlreich berichtet wird. Israel selbst hat sich bisher nicht dazu geäußert. Nachdem Israels Verteidigungsminister Joav Galant bereits am Montag, also einen Tag vor den ersten Explosionen, über einen notwendigen "militärischen Einsatz" im Norden sprach, rief er jetzt allerdings eine "neue Phase des Krieges" aus. Die WELT-Korrespondentin Gisela Dachs berichtet aus Tel Aviv, dass in den letzten Wochen bereits mehrfach von einem notwendigen "allumfassenden Krieg gegen den Libanon" gesprochen wurde.

"...Aber warum jetzt? Welche Absichten könnten der israelische Geheimdienst und das Militär haben?

"Solche Mittel setzt man ein, um Chaos zu stiften und den Gegner zu verwirren, kurz vor einer eigenen Offensive. Eine solche Offensive ist jedoch nirgends in Sicht."

Eine Vermutung: die Explosionen sollten Auftakt einer Großoffensive gegen die Hisbollah sein. Doch womöglich stand die Aktion kurz vor der Entdeckung. Nach dem Motto "jetzt oder nie" könnte sie in den letzten zwei Tagen gestartet worden sein..."

Das bedeutet: nicht nur die taiwanische Firma Apollo Gold (Pager), die japanische Firma ICOM (Walkie Talkies) oder die ungarische (Schein-?)Firma BAC Consulting Kft. stehen unter Zugzwang. Es ist auch die Hisbollah mit der angekündigten Reaktion, aber vor allem ist es Israel, wenn sich bewahrheitet, dass sie sozusagen in letzter Minute vor Auffliegen den Angriff durchführten. Der damit geplante Großangriff war in diesem Fall noch nicht startklar. Improvisieren sie jetzt auf die Schnelle? Improvisieren jetzt beide Seiten auf die Schnelle DEN Großkrieg?

Unterdessen wurden in der letzten Nacht zahlreiche Städte im Libanon aus der Luft bombardiert. Der FAZ-Korrespondent Christoph Ehrhardt berichtet aus Beirut: "Als Hisbollah-Anführer Hassan Nasrallah in Beirut seine [...] Rede hielt, flogen israelische Kampfflugzeuge so tief wie selten über die Stadt und durchbrachen die Schallmauer. Der Knall war so laut, dass Häuser und Scheiben bebten. Dieses Mal warfen sie außerdem Täuschkörper ab, die eigentlich wärmesuchende Raketen ablenken sollen."

Nasrallah sprach von einer "Kriegserklärung Israels" und sagte, dass der Hisbollah die technologische Überlegenheit Israels bewusst sei – „insbesondere weil es von den USA und dem Westen unterstützt wird.“

Die Hisbollah hat "nach eigenen Angaben" wohl bereits einen ersten Vergeltungsangriff durchgeführt.

Der Leiter des Notfallausschusses der libanesischen Regierung Nasser Yassin erklärte, dass sich der Libanon auf einen möglichen israelischen Großangriff vorbereite. "Das Bildungsministerium habe eine Liste mit rund 100 Schulen vorgelegt, die als Notunterkünfte dienen könnten. Nahrungsmittelreserven reichten nach Regierungsangaben im Libanon für mehr als drei Monate."

Nun forderte die UN-Vollversammlung in einer Resolution mit einer deutlichen Mehrheit von 124 Stimmen den Rückzug Israels aus den besetzten Palästinensergebieten innerhalb eines Jahres. Damit soll das Rechtsgutachten des Internationalen Gerichtshofs (IGH) in Den Haag vom Juli durchgesetzt werden, in welchem er feststellte, dass die Besetzung der palästinensischen Gebiete illegal sei und so schnell wie möglich beendet werden müsse.

"Israel ignorierte dies – dasselbe Verhalten wird auch vor dem Hintergrund der nun angenommenen Resolution erwartet."

Statt Mitgefühl: Bewunderung der Technik

Der libanesische Journalist Habib Battah, Gründer der Webseite Beirutreport.com und Dozent an der American University of Beirut (AUB) schreibt auf Facebook: Mit Wörtern wie "raffiniert", "erstaunlich" und "beeindruckend" hätten sogenannte "demokratische Medien" die tausendfachen Explosionen "gefeiert", die zu Dutzenden Toten und Tausenden von Verletzten [...] geführt haben. 

"So kann man nur berichten, wenn man den Menschen, über die man berichtet, jegliches Menschsein abspricht."

"Die Panik im Libanon ist allgegenwärtig und betrifft alle, egal ob Verbündeter oder Todfeind der Hisbollah.

Der ägyptische Satiriker Bassem Youssef drückte es so aus:

"Und plötzlich sind mein Telefon, unsere Überwachungskamera, die Tablets unserer Kinder Zeitbomben, die auf Geheiß eines Landes explodieren. Ein ganzes Land als Geisel. Die ganze Welt als Geisel." "

 Der UN-Sicherheitsrat plant am Freitag um 21.00 Uhr MESZ eine Dringlichkeitssitzung.



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