Wenn man die Berichte zu den diesjährigen Ostermärschen durchgeht, dann fällt v.a. Eines auf: sie sind in der Hauptsache relativ realistisch und objektiv geschrieben. Was für eine Wohltat! Das gab es so im ganzen letzten Jahr nicht, sehr Vieles wurde bisher auch nicht nur verzerrt, sondern einfach ignoriert. Diesmal nicht, da gab es sogar positive Berichte, was wohl auch am Thema und der Historie lag. Auf über 120 Friedensmärschen forderte man vereint, hinsichtlich des zentralen Themas Ukrainekrieg, Friedensverhandlungen, einen Waffenstillstand und damit einhergehend einen Stopp von Waffenlieferungen.
Die Informationsstelle Ostermarsch in Frankfurt zog eine positive Bilanz, stellte eine gestiegene Beteiligung gegenüber des Vorjahres fest, betonte das eindeutige Auftreten der Ostermarschierer und -redner „gegen die fortschreitende Militarisierung und Kriegspropaganda“ und die Ablehnung weiterer Waffenlieferungen an die Ukraine, die als Schritt zur weiteren Eskalation angesehen werden. Dagegen wurden diplomatische Initiativen und ein Waffenstillstand zur Beendigung des Ukraine-Krieges gefordert.
Ostermärsche stehen für eine langjährige politische Kultur und eine damit verbundene politische Bandbreite.
Dieses folgende Video stellt die Geschichte der Ostermärsche ganz gut, kurz und prägnant dar.
Allerdings kann ich dem Ende des Videos nicht zustimmen, dazu siehe unten (am Ende meiner Transkription) eine Anmerkung.
„Zu den Ostertraditionen der Deutschen gehört neben Osterhase und Eiersuche auch ein Spaziergang.
Schon Johann Wolfgang von Goethe beschreibt in seinem Faust den Drang, im Frühling raus in die Natur zu gehen:
Osterspaziergang
„Vom Eise befreit sind Strom und Bäche, durch des Frühlings holden, belebenden Blick,
im Tale grünet Hoffnungsglück, der alte Winter, in seiner Schwäche,
zog sich in rauhe Berge zurück...
Hier bin ich Mensch,
hier darf ich`s sein.“
Doch die Deutschen gehen an Ostern nicht nur mit der Familie spazieren, sie nehmen auch zu Zehntausenden, manchmal zu Hunderttausenden, an den Ostermärschen teil. Nicht wegen der guten Luft, nein – ein Ostermarsch ist kein banaler Spaziergang, sondern eine politische Veranstaltung, gegen (nukleare) Aufrüstung und Krieg.
In der noch jungen Bundesrepublik wurden die pazifistischen Märsche bald zu einer Massenbewegung. Das ist leicht zu erklären: Nazideutschland hatte mit dem II. Weltkrieg unsägliches Leid verursacht. Deshalb hatten viele Deutsche nach Kriegsende eine tiefe Abscheu vor allem Militärischen.
„Nie wieder Krieg. Nie wieder deutsche Soldaten in einem Krieg“
waren Gründungsmythen der Bundesrepublik. Und doch bekam sie wieder eine Armee und sogar Trägersysteme für Nuklearwaffen. Grund zum Marschieren für viele Pazifisten. (…) Für die Parolen „Frieden schaffen ohne Waffen“ und „Kein atomares Wettrüsten" gab es Zuspruch von Parteien, Gewerkschaften und Kirchenvertretern.
Wir setzen uns für ein Exportverbot von Waffen und Rüstungsgütern an Diktaturen, menschenrechtsverachtende Regime und in Kriegsgebiete ein. Für Deutschland werden wir ein Rüstungsexportkontrollgesetz vorlegen. Das willst du auch? 👉 Dann wähl GRÜN am 26. September! pic.twitter.com/sPkZ9ZhkkI
— BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (@Die_Gruenen) September 21, 2021
Bis zum 24.02.2022.
Als Putin den Krieg in der Ukraine begann, stürzte das deutsche Selbstverständnis in sich zusammen: Pazifisten wurden zu Falken – gerade Vertreter der friedliebenden Grünen, wie VK R. Habeck und AM A. Baerbock, forderten die Lieferung auch schwerer Waffen an die Ukraine.
Gibt es statt Ostermärschen nun also nur noch Osterspaziergänge in Deutschland?
Mitnichten!
Die Deutschen marschieren weiter. Angesichts des Ukrainekrieges jedoch nicht mehr unter einer Flagge. Manche wollen jetzt mit Waffen für Frieden kämpfen, andere fürchten sich vor der Ausweitung des Krieges auf ganz Europa und wollen einen dauerhaften Waffenstillstand. Man marschiert nicht mehr in die gleiche Richtung.“
#UkraineKrieg | "Wir sind einer der größten #WaffenLieferanten in dieser Situation. Das ist nichts, was uns stolz macht, sondern das ist das, was wir jetzt tun müssen", erklärt Außenministerin Annalena Baerbock @ABaerbock @AuswaertigesAmt. @gruenebundestag pic.twitter.com/nrGhRRormQ
— phoenix (@phoenix_de) March 23, 2022
Anmerkung: Zum Ende des Videos möchte ich gerne „Pinetrees“ Kommentar beipflichten: „Die Friedensbewegung ist diverser und breiter aufgestellt als Ihr es in dem Video darstellt.“ Außerdem kämpft die Friedensbewegung wie eh und je gegen Aufrüstung, Militär, Gewalt, Krieg und speziell bzgl. der Ukraine für einen Waffenstillstand, Verhandlungen und gegen jegliche weitere (militärische und rhetorische) Eskalation und nicht dafür, mit Waffen Frieden zu schaffen (das hat nichts mit dem Selbstverteidigungsrecht zu tun). Da ist wohl etwas durcheinander geraten, denn gegen genau diese Logik wurde jetzt über Ostern auf den traditionellen Märschen protestiert. Es gab allerdings ein paar, recht kleine Gegen(!)demonstrationen (siehe z.B in Berlin 12 Menschen), die für mehr Waffen plädierten.
Die zentralen Forderungen der Friedensbewegung
„abrüsten statt aufrüsten“, Verbot aller Atomwaffen, Beendigung der Rüstungsexporte und eine Entspannungspolitik, um einen neuen Kalten Krieg abzuwenden,
wurden noch einmal in allen Teilen des Landes auf den Straßen verbreitet, auch von uns DsWlern. Hier ein paar Eindrücke:
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