„Friedensfähig statt erstschlagfähig!“
Neue Kampagne für ein Europa ohne Mittelstreckenwaffen
Anfang November haben 36 Friedensorganisationen eine Kampagne gegen die Stationierung landgestützter US-Mittelstreckensysteme in Deutschland gestartet. „Die Entscheidung zur Stationierung der Mittelstreckenwaffen in Deutschland ist eine Bedrohung für den Frieden in Europa“, warnen die beteiligten Organisationen.
In einem Offenen Brief mit mehr als 30 prominenten Erstunterzeichner*innen – darunter u.a. die Theologin Margot Käßmann, Umweltforscher Prof. Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker sowie die Schriftstellerin Daniela Dahn, wenden sich die Initiatoren nun an die Kandidierenden zur Bundestagswahl. Der Brief wurde gestern veröffentlicht und hat bereits weitreichende Resonanz erfahren - selbst die Tagesschau (!) berichtete darüber.
"Wir fordern die Politiker*innen auf, sich gegen die Stationierung von US-Mittelstreckenwaffen auszusprechen und für neue Verhandlungen über Rüstungskontrolle und die Abrüstung aller Mittelstreckenwaffen in Europa einzusetzen."
"Die Stationierung von Mittelstreckenraketen war "ein Angebot der US-Regierung", auf das man "gern und bereitwillig eingegangen" ist", so Jasper Wieck. Und Boris Pistorius erklärte selbst, es handele sich um eine "exekutive Entscheidung der amerikanischen Administration, in Abstimmung mit dem Bundeskanzleramt". Es geht also um eine bilaterale deutsch-amerikanische Vereinbarung und ausdrücklich nicht um eine gemeinsame Bündnisentscheidung. Deutschland macht sich also ganz bewusst alleine zu einem möglichen Ziel bzw. dem ersten Ziel, sollte die Eskalationsspirale nicht endlich unterbrochen werden.
Gerade einmal 5 Jahre nach dem INF-Vertrag werden wir in Deutschland "einfach so, am Volk vorbei", ohne Absprache oder demokratische Debatte, vor die Tatsache einer Stationierung der Angriffswaffen "Tomahawk-Marschflugkörper", der neuen "US-Hyperschallwaffe Dark Eagle" und den "SM-6 Mehrzweckraketen" gestellt. Über die „Modernisierung“ der nuklearen B61-12-Bomben in Büchel wird gleich ganz geschwiegen.
Die Stationierung erhöht die Atomkriegsgefahr in Deutschland und Europa immens und wir machen uns selbst zur Zielscheibe!
Anstatt die entstandene Sicherheitslücke durch die aufgekündigten Rüstungskontroll- und Abrüstungsverträge direkt militärisch auszunutzen und massiv aufzurüsten, sollten wir uns vehement für die Wiederaufnahme des INF-Vertrags einsetzen!
Diplomatie statt Waffen, Sicherheit mittels gemeinsamer Abrüstung, das müsste die vorrangige politische Strategie sein!
Offener Brief an alle Kandidierenden
zur Bundestagswahl 2025 | 24. Januar 2025
"Sehr geehrte Damen und Herren,
erstmals seit dem Ende des Kalten Krieges sollen ab 2026 wieder US-Mittelstreckenwaffen nach Deutschland kommen.
Am 10. Juli 2024 gaben die US-Regierung und die deutsche Bundesregierung bekannt, US-Raketen vom Typ SM-6, Tomahawk-Marschflugkörper und Dark-Eagle-Hyperschallwaffen stationieren zu wollen. Sie unterliegen der Kontrolle der 2. Multi Domain Task Force der US-Streitkräfte, die bereits seit 2021 in Wiesbaden aufgebaut wird. Die Waffen sind somit Teil einer Strategie der USA (Conventional Prompt Global Strike), um binnen kürzester Zeit jeden Ort der Welt angreifen zu können. Die in Deutschland stationierten Waffen decken fast den kompletten europäischen Teil Russlands ab. Aufgestellt werden sie möglicherweise am Standort der 41. US-Feldartillerie-Brigade im oberfränkischen Grafenwöhr.
Zusätzlich wurde bekannt, dass Deutschland mit weiteren europäischen Staaten die Entwicklung eigener Mittelstreckenwaffen im Rahmen des Projektes ELSA vereinbart hat.
Es ist einer Demokratie nicht würdig, dass die weitreichende Entscheidung zur Stationierung der US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland ohne jede öffentliche Begründung oder Debatte getroffen wurde. Der Bundestag hatte keinerlei Mitsprache!
Es ist zudem nicht nachvollziehbar, warum die Stationierung nicht im Rahmen der NATO, sondern bilateral zwischen den USA und Deutschland vereinbart wurde. In der Folge ist Deutschland alleiniges Ziel eines möglichen Gegenschlages. Die Verfügungsgewalt über die Waffen liegt bislang ausschließlich bei den USA. Ebenso kritikwürdig ist, dass die Ankündigung – anders als der NATO-Doppelbeschluss von 1979 – kein Verhandlungsangebot an Russland über den beidseitigen Verzicht auf derartige Waffen enthält.
Die Kündigung des INF-Vertrages durch US-Präsident Donald Trump 2019 hat eine gefährliche Regelungslücke hinterlassen und ein neues Wettrüsten mit Mittelstreckenwaffen eröffnet. Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine hat die Aufrüstung in Ost und West befeuert und gefährdet den Frieden in ganz Europa.
Die Ukraine setzt mittlerweile weitreichende Raketen und Marschflugkörper gegen russische Ziele ein. Moskau hat daraufhin im November 2024 bei Angriffen auf das ukrainische Dnipro erstmals eine neu entwickelte Mittelstreckenrakete eingesetzt und mit weiteren Einsätzen gedroht. Diese unverantwortliche Eskalation verunsichert die Menschen auch in Deutschland und stärkt jene, die eine vermeintliche „Fähigkeitslücke“ der NATO mit landgestützten Mittelstreckenwaffen schließen wollen.
Expertinnen und Experten wie Oberst a.D. Wolfgang Richter zeigen jedoch, dass es nicht sinnvoll ist, einzelne Waffengattungen gegeneinander aufzurechnen. Mehrere aktuelle Studien weisen nach, dass die NATO Russland militärisch in nahezu allen Bereichen klar überlegen ist und über zahlreiche weitreichende Waffensysteme auf U-Booten, Schiffen und Flugzeugen verfügt. Die landgestützten US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland würden in erster Linie ein gefährliches Wettrüsten befeuern und das Kriegsrisiko auch in Deutschland deutlich erhöhen.
Wir rufen Sie, sehr geehrte Kandidierende zur Bundestagswahl 2025, daher auf:
Sorgen Sie dafür, dass keine US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland stationiert werden! Lassen Sie außerdem nicht zu, dass Deutschland sich an der Entwicklung eigener europäischer Mittelstreckenwaffen beteiligt!
Die Stationierung von schnellen, präzisen und schwer abzufangenden Mittelstreckenwaffen in Deutschland führt dazu, dass die USA binnen Minuten – also nahezu ohne Vorwarnzeit – strategische Ziele wie Raketensilos, Kommandozentralen, Entscheidungszentren und auch Frühwarnsysteme in Russland zerstören können. Russland wird darauf reagieren und seinerseits Waffen mit vergleichbaren Fähigkeiten auf Deutschland richten. Die Folge wäre nicht mehr Sicherheit, sondern eine gefährliche Instabilität, in der ein einziger Irrtum oder Fehler ausreicht, um die Welt mitten in einen Atomkrieg zu führen. Das kann und darf nicht in unserem Interesse sein!
Setzen Sie sich mit Nachdruck für neue Verhandlungen über Rüstungskontrolle und die Abrüstung aller Mittelstreckenwaffen ein (multilaterales Folgeabkommen zum INF-Vertrag) und bekennen Sie sich zum mittelfristigen Ziel einer neuen Friedensordnung in Europa!
Die europäische Geschichte zeigt, dass Rüstungskontrollverträge und Strukturen der gemeinsamen Sicherheit und Zusammenarbeit der einzige Weg sind, um Konfrontationen ohne Blutvergießen beizulegen und Aufrüstungsspiralen zu durchbrechen. Der INF-Vertrag hatte die Vernichtung und das Verbot einer ganzen Waffengattung in der Sowjetunion und den USA zur Folge. Er läutete so das Ende des Kalten Krieges und eine Epoche gemeinsamer Sicherheit in Europa ein. Deutschland hat der Diplomatie der 1980er-Jahre viel zu verdanken. Daher muss gerade jetzt das Signal für neue Initiativen der Rüstungskontrolle und des Dialogs aus Berlin kommen!"
Hintergrund
Am 10. Juli 2024 informierte eine vier Sätze kurze deutsch-amerikanische Regierungserklärung darüber, dass die USA ab 2026 diverse US-Mittelstreckensysteme in Deutschland stationieren wollen. Es handelt sich dabei um den Marschflugkörper Tomahawk (900 km/h, Reichweite je nach Typ zwischen 1.700 km und 2.500 km), die ballistische Rakete Standard-Missile 6 (vermutlich in der Variante 1B, >6.000 km/h, Reichweite 1.600 km) und die Hyperschallwaffe Dark Eagle (21.000km/h, Reichweite 2.700-3.000 km), die keine Atomsprengköpfe tragen. Die Waffen werden von einer Multi Domain Task Force der USA in Wiesbaden befehligt. Wie viele Waffen kommen, ist aktuell unklar (Schätzungen gehen von bis zu 250 Stück aus), ebenso der Stationierungsort (eventuell Grafenwöhr).
Kommentar hinzufügen
Kommentare