Vom 12. bis zum 23. Juni wird die bis dato größte Luftoperationsübung seit Bestehen der NATO im deutschen Luftraum stattfinden: Air Defender 2023. 12 Tage lang werden die teilnehmenden Luftstreitkräfte im gesamten deutschen Luftraum, sowie teilweise auch über Polen, Tschechien, dem Baltikum und Rumänien die Luftverteidigung Europas üben.
Es handelt sich bei Air Defender um Verteidigungsübungen, bei welchen nach Aussagen der Bundeswehr die „gemeinsame Reaktionsfähigkeit der Luftstreitkräfte bei einer Krisensituation“ trainiert werden. Das Szenario sei einem „Artikel-5-Beistandsszenario“ der NATO nachempfunden. Deutschland nimmt bei der Übung seine Rolle als „kollektiver Verteidigungsknotenpunkt“ in Europa wahr...
Laut der Bundeswehr werden rund 250 Flugzeuge, 23 verschiedene Flugzeugtypen sowie bis zu 10.000 Soldatinnen und Soldaten bei 26 beteiligten Nationen erwartet.
Deutschland wird mit folgenden Luftfahrtypen teilnehmen: 30 Eurofighter, 16 Tornados, 5 Airbus A400M und 3 Airbus A330 AAR zur Betankung sowie 2 LJ35, 2 A-4 und 4 leichte Unterstützungshubschrauber (LUH) 145. Bei den anderen Ländern sind die verschiedenen Flugzeugtypen nur teilweise bekannt. Unter anderem haben die USA und die Niederlande F-35 dabei, die somit erstmals über Deutschland zu sehen sein werden. Bald ein häufigerer Anblick: Die Bundeswehr beschloss die Anschaffung des „modernsten Kampfflugzeugs der Welt“, um veraltete Tornado-Kampfbomber in ihren Reihen zu ersetzen. Auch einen NATO-AWACS-Aufklärer haben diese Länder im Schlepptau. Zudem wird auch erstmalig ein Transportflieger der japanischen Luftstreitkräfte nach Deutschland kommen.
Einen nicht unerheblichen Teil der Luftfahrzeuge beim Air Defender wird die USA stellen: 100 Flugzeuge aus 35 US-Bundesstaaten werden für das Manöver nach Deutschland verlegt.
bundeswehr.de, Air Defender 23
GEOPOLITISCHES SZENARIO:
Diese Nationen nehmen an dem Kampfjet-Manöver der NATO teil:
Belgien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland (Neumitglied der NATO), Frankreich, Griechenland, Italien, Japan (nicht NATO-Land), Kroatien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Niederlande, Norwegen, Polen, Rumänien, Schweden (NATO-Mitgliedschaft beantragt), Slowenien, Spanien, Tschechien, Türkei, Ungarn, USA, Vereinigtes Königreich
Diese NATO-Mitglieder nehmen nicht an dem Kampfjet-Manöver teil:
Albanien, Island, Kanada, Montenegro, Nordmazedonien, Portugal, Slowakei
Die Nato hat aktuell 31 Mitgliedsstaaten. Acht davon nehmen nicht an dem Kampfjet-Manöver teil. Dafür gibt es verschiedene Gründe - entweder verfügen sie über keine oder zu kleine Streitkräfte, wobei ich keine Infos über die Gründe der Nichtteilnahme Kanadas gefunden habe.
Hauptstandorte
bei der Übung werden Jagel/Hohn (Schleswig-Holstein), Wunstorf (Niedersachsen) und Lechfeld (Bayern) sein. Daneben auch Spangdahlem in Rheinland-Pfalz, Volkel in den Niederlanden und Čáslav in Tschechien.
Anwohner der teilnehmenden Fliegerhorste werden sich auf eine deutlich erhöhte Lärmbelästigung einstellen müssen und das erhöhte Flugzeugaufkommen und die zeitweiligen Luftraumsperrungen können massive Auswirkungen auf den zivilen Reiseverkehr haben.
"Man wolle Reaktionsfähigkeit und gemeinsame Stärke in der Luft trainieren und demonstrieren. Wohl ein eindeutiges Signal an Russland... Tiefflüge bis zu einer Höhe von 330 Metern sind vorgesehen...
Ein Luftraum befindet sich im Nordwesten Deutschlands und der Nordsee, ein zweiter über Mecklenburg-Vorpommern und der Ostsee, ein dritter vor allem über Bayern und Baden-Württemberg. Sie müssen dann von zivilen Maschinen umflogen werden. In Deutschland gibt es pro Tag in etwa 8.000 zivile Flüge..." (derstandard.de, max, 2.6.2023)
"Die meisten Flüge könnten nach Angaben der Luftwaffe über der Nord- und Ostsee stattfinden." (rnd.de, RND/dpa, 04.06.2023)
Luftraumsperrungen im Juni
In einem Schreiben an die Luftfahrtverbände hat die Luftwaffe darüber informiert, welche Lufträume zu welchen Zeiten von Sperrungen betroffen sind.
Piloten wird dringend empfohlen, sich über den aktuellen Stand zu informieren, denn ein Einflug in ein Flugbeschränkungsgebiet (ED-R) ist eine Straftat nach § 62 LuftVG.
Reaktionen:
Friedensgesellschaft warnt vor Eskalation
„Die Mega-Kriegsübung muss abgesagt werden“, fordert nun Ralf Buchterkirchen, Bundessprecher der DFG-VK.
"Ein Missverständnis oder ein falscher Knopfdruck kann zur totalen Eskalation führen...
Es braucht Verhandlungen zwischen allen Konfliktparteien, statt Militärmanöver."
IMI-Analyse 2023/22 zu Air Defender 2023
"Während ein Großteil der Luftkriegsübungen über Deutschland und der Nordsee stattfinden werden und die Flugzeuge der Verbündeten in Deutschland, den Niederlanden, Belgien, Polen und Tschechien stationiert sein werden, sind im Rahmen des Manövers auch tägliche Hin- und Rückflüge nach Estland und Rumänien vorgesehen. Die übenden NATO-Jets fliegen also bis an die unmittelbare Ostgrenze des Bündnisgebietes...
Schon 2021 legte Michael A. Loh, der Chef der US Air National Guard, seine Motivation für die Teilnahme dar: „Ich möchte, dass [meine Leute] anfangen, mehr über unsere drohenden Gefahren – China und Russland – nachzudenken und versuchen, sie auf diese Standards zu bringen"...
Damit wiederholt sich das bereits seit Jahren vollzogene Muster von gegenseitigen militärischen Muskelspielen und Drohgebärden in einem höchst unsicheren Umfeld auf immer konfrontativere Weise. Währenddessen kommt es bereits im Regelbetrieb immer wieder zu gefährlichen Situationen in den Lufträumen entlang der NATO-Grenzen, wenn sich dort russische und NATO Kampfjets gefährlich nahe kommen. Allein im vergangenen Jahr kam es laut NATO zu 570 solchen Vorfällen und damit zu doppelt so vielen wie im Vorjahr...
Trotz alledem werden bisher gängige Formen der gegenseitigen Rückversicherung zwischen NATO und Russland bei Großmanövern im Rahmen von Air Defender 2023 einfach missachtet. Eine formale Benachrichtigung Russlands halten der deutsche Luftwaffeninspekteur und der Chef der US Air National Guard nicht für nötig. Bei einem Pressetermin Anfang April auf der Joint Base Andrews bei Washington sprach Gerhartz sichtlich stolz darüber, dass er einem Reporter am Vortag auf die Frage nach der Informationspolitik gegenüber Russland geantwortet habe: „Wir werden ihnen [Russland] keinen Brief schreiben. Sie werden die Nachricht schon erhalten/verstehen, wenn unsere Flugzeuge ausschwärmen.“ Auf diese bewusste Doppeldeutigkeit im englischen Original reagiert der US General Loh vor laufenden Kameras mit einem breiten Grinsen. Bei dieser Provokation handelt es sich allerdings nicht bloß um einen unnötig provokativen Stil. Bisher war es gängige Praxis, dass NATO-Staaten ihre Manöver auf formalem, diplomatischem Wege ankündigten und Einladungen an Militärbeobachter, auch aus Russland und Belarus, aussprachen. Diese Praxis diente der gegenseitigen Versicherung, dass die Militärübungen zwar dem gegenseitigen Muskelspiel und der Abschreckung, nicht aber der Vorbereitung eines Angriffs dienten.
In der aktuellen Phase der militärischen Konfrontation in der Ukraine auf diese Kommunikationsformen zu verzichten, ist hochgradig gefährlich..."
Proteste sind bereits angekündigt
Um die Kritik am Großmanöver Air Defender 2023 auch am Ort des Geschehens sichtbar zu machen, mobilisiert die Friedensinitiative Neustadt/Wunstorf am 10. Juni 2023 um 11:55 (fünf vor Zwölf) zu einer Demonstration am Fliegerhost Wunstorf bei Hannover. Zudem soll dort während des Manövers vom 12. bis 23. Juni täglich eine Mahnwache stattfinden... Und neben einer Fahrraddemo und einem Schweigemarsch ist dabei auch eine Kundgebung vor dem Haupttor des Fliegerhorstes Wunstorf geplant. Vermutlich werden sich auch an anderen Standorten noch Proteste formieren.
"Nicht das Zusammenspiel im Krieg sollten die 26 Nationen trainieren, sondern im Zusammenspiel mögliche diplomatische Lösungen erarbeiten."
Die riesige Luft-Übung sei nicht nur ein Klimakiller, sondern auch ein weiterer Teil der Eskalationsspirale im Ukraine-Krieg, sagte Ekkehard Lentz, Sprecher des Friedensforums.
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