Der Vilnius-Gipfel 2023 ist der nächste Woche vom 11. bis 12. Juli 2023 in Vilnius (Litauen) stattfindende NATO-Gipfel. Der Gipfel wurde während des Madrider Gipfels 2022 offiziell vorgeschlagen.
Vorab zu Madrid 2022:
Neben der angekündigten Aufnahme Finnlands und Schwedens (Norderweiterung) und der massiven militärischen Verstärkung (NRF bzw. VJTF) wurde auf dem Gipfel das neue Strategische Konzept der NATO vorgestellt, in dem Russland als "die größte Bedrohung für Sicherheit und Frieden" und China als "Herausforderung" bezeichnet wurden.
Vom 24. Juni bis zum 26. Juni 2022 fand in Madrid ein Friedensgipfel statt, dessen Erklärung hier unterzeichnet werden kann. Am 26. Juni versammelten sich mehrere Tausend Menschen in Madrid, um gegen die NATO zu protestieren und forderten die Auflösung der Organisation und die Schließung der US-Militärstützpunkte in Spanien. Ein für den ersten Tag des Gipfels geplanter Protest wurde von der spanischen Regierung verboten.
„Was wir den Ukraine-Krieg nennen, ist kein Krieg zwischen Russland und der Ukraine, sondern ein Krieg zwischen der NATO und Russland." Manuel Pardo
„Ich habe dieses Geschäft mit Waffen und dem Töten von Menschen satt. Die Lösung, die sie vorschlagen, sind mehr Waffen und Kriege, und wir zahlen immer dafür. Also keine NATO, keine (Armee-)Stützpunkte, lasst die Amerikaner gehen und uns alleine ohne Kriege und Waffen.“ Concha Hoyos
NATO Strategic Concept 2022
Einschub: Rückblick NATO-Russland-Grundakte, Paris 1997
Die am 27. Mai 1997 in Paris unterzeichnete völkerrechtliche Absichtserklärung zwischen der NATO und Russland hatte v.a. das Ziel, ihr Verhältnis aus Misstrauen und gegenseitiger Bedrohung zu überwinden und einen Ausgleich zwischen den sicherheitspolitischen Interessen der NATO-Partner einerseits und Russlands andererseits herzustellen.
Im Wesentlichen sollte dies durch vertrauensbildende Maßnahmen, vertiefte Zusammenarbeit im Rahmen der OSZE und Abrüstung erreicht werden. Die Grundakte strebt also ein gegenseitiges Vertrauensverhältnis an, um einen gemeinsamen Sicherheits- und Stabilitätsraum zu schaffen.
Unter Anderem wurde hier keine dauerhafte Stationierung substantieller NATO-Kampftruppen im Osten vereinbart. Seit vielen Jahren sind dort allerdings NATO-Soldaten durchgängig stationiert und erst am 27. Juni 2023 wurde bekannt gegeben, dass 4.000 Bundeswehrsoldaten schrittweise nach Litauen verlegt werden sollen um die NATO-Ostflanke zu sichern.
Tilo Jung von "Jung & Naiv" stellte demnach zurecht diese Frage bereits vor ziemlich genau 7 Jahren in der Bundespressekonferenz am 15.06.2016, einen Tag nach dem offiziellen NATO-Beschluss, Kampftruppen in Polen sowie in Estland, Lettland und Litauen, also vor Russland, zu stationieren.
"Vier Einheiten, darunter deutsche Soldaten, sollen sich vor Ort ständig abwechseln bzw. "dauerhaft rotieren", damit man sagen kann: NATO-Truppen sind nicht durchgehend vor Ort. Nur wie passt das mit der "NATO/Russland-Grundakte" zusammen? Denn die verbietet eine "dauerhafte" Präsenz "substanzieller" militärischer NATO-Einheiten in Osteuropa. Die Bundesregierung versteht das Problem nicht..."
Ausblick Vilnius 2023:
Für den bevorstehenden NATO-Gipfel verlegt die Bundeswehr Patriot-Flugabwehrsysteme (!) nach Vilnius und will angeblich damit zum Schutz des NATO-Gipfels beitragen. Der Bundesminister der Verteidigung, Boris Pistorius, äußerte sich dazu mit folgenden Worten:
„Ich freue mich, dass wir in Vilnius einen wichtigen Beitrag für das Bündnis leisten können. Die Bundeswehr wird mit ihren vielfältigen Fähigkeiten maßgeblich zur Absicherung des NATO-Gipfels beitragen. Das zeigt erneut: Wir sind flexibel und da, wenn man uns braucht – auf Deutschland ist im Bündnis Verlass. Zusammen mit unseren Alliierten zeigen wir nach innen und außen Solidarität und Geschlossenheit.“
Zeitlich in einem engen Zusammenhang erfolgte durch Russland die Ankündigung des Rauswurfs hunderter deutscher Staatsbediensteter aus dem Land.
"Klar, Herr Pistorius, es liegt ja auf der Hand, dass Vilnius vor den Russen abgesichert werden muss." Satire aus. TS
Was können wir nun vom Gipfel erwarten?
Da nicht alle NATO-Mitglieder mit einer Stimme bzgl. der Aufnahme der Ukraine sprechen, gab es vor ein paar Tagen einen Vorstoß von Michael Roth. Er schlug allen Ernstes eine sog. NATO-West-Ukraine vor.
"Das heißt, ich würde einen perfekten Frieden nicht zur Bedingung einer Aufnahme machen", sondern "diejenigen Teile der Ukraine, die unter zuverlässiger Kontrolle der demokratischen Kiewer Regierung stehen, sollten schnellstmöglich zum NATO-Gebiet gehören. Für diese gelte dann auch die Beistandspflicht nach Artikel 5." Für andere Gebiete der Ukraine würde diese Beistandspflicht noch nicht gelten, die Ukraine aber als Ganzes Land aufgenommen. Man müsse "doch irgendwie aus dem furchtbaren Dilemma heraus, die Nato-Mitgliedschaft womöglich auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben zu müssen".
Wie definiert Herr Roth bitte schön "zuverlässig ukrainisch kontrollierte Gebiete"? Möchte er selbst eine Grenzlinie ziehen, wo soll diese verlaufen? Die Frontgebiete sind riesig und wacklig wie Pudding, es geht hin und her, mal hier, mal dort, je nachdem, wo eben gerade wieder Soldaten zusammen- oder abgezogen wurden. Hat ihm denn noch keiner gesagt, dass es sich hier um einen Stellungskrieg, einen Abnutzungskrieg und eine Pattsituation handelt? Oder möchte er einfach mal 100 km westlich oder weiter die Grenzlinie ziehen? Wird sich die ukrainische Regierung dafür bedanken?
By the way, an dieser Stelle zum Thema Abnutzungskrieg: jetzt ist das offiziell die Strategie der Ukraine, Olexij Danilow, der Sekretär des Nationalen Sicherheitsrats, höchst selbst hat es verkündet. Wenn wir Friedensmenschen also mit unserem Hauptargument der Abnutzung, was selbstredend das Furchtbarste überhaupt ist, argumentieren, dann wird von Seiten der Ukraine und des Westens müde darüber gelächelt. Denn genau das wollen sie jetzt ja auch ganz offiziell.
Neben des fraglichen Vorschlags Roths, gibt es ein weiteres, schon oft diskutiertes Szenario: die offizielle Entsendung von Soldaten bzw. NATO-Soldaten in die Ukraine. Diese Wahrscheinlichkeit ist m.E. stark gestiegen, wenn man die geänderte Strategie der Ukraine hinsichtlich der "Abnutzung" i.V. damit, dass sie nun laut Thomas Fasbender "das eigene Scheitern als neue Strategie verkaufen" betrachtet. Sicherlich wird auch über die Entsendung in Vilnius gesprochen, sie könnten - wie auch bei den Waffenlieferungen - behaupten, es käme ja nicht direkt von der NATO, sondern jedes Land entsende selbst. Wie sähe das denn völkerrechtlich aus? Selbst bzgl. der Ausbildung ukrainischer Soldaten in Deutschland stellte ein Gutachten im Auftrag der Bundesregierung bereits eine Beteiligung fest. Und dabei ist noch überhaupt nicht in Betracht gezogen worden, wie die Russen das einstufen. Von einer offiziellen Entsendung von NATO-Soldaten ganz zu schweigen...
Abgesehen von diesen Vorschlägen, liegt anscheinend bereits ein vorgefertigtes Dokument vor, das laut NATO-Generalsekretär Stoltenberg von allen unterschrieben werden soll. Über den genauen Inhalt äußerte er sich bislang nicht.
"Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat am Freitagmittag betont, dass die Ukraine einem Nato-Beitritt immer näher rückt...
Stoltenberg teilte zudem mit, dass die Nato weitere Einheiten in die europäischen Meere entsenden wird. „Wir werden Einheiten in der baltischen Ostsee und im Mittelmeer stationieren“, berichtete er."
Fazit: der Ausblick ist düster, wenn man ein wenig über den kommenden NATO-Gipfel recherchiert, dann handelt es sich nur um mehr Waffen, Aufrüstung und die Aufnahme der Ukraine als Mitglied (ganz beiläufig wird dann immer mal wieder Artikel 5 eingestreut, so als sollten wir uns an den Gedanken gewöhnen). Diplomatische Strategien sucht man nach wie vor vergebens, was allerdings nach der jetzt offiziell verkündeten Abnutzungsstrategie auch nicht verwundert. Man möchte den Krieg in die Länge ziehen und gibt das jetzt auch ganz offiziell zu. Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass der Rest der Welt dem Treiben einfach nur zusieht. Das ist auch gleichzeitig meine Hoffnung.
Diesen Eintrag möchte ich mit den Worten von Sevim Dagdelen im Bundestag vor 2 Tagen abschließen:
"Wir brauchen Frieden statt NATO."
P.S.: Es gibt von allen möglichen Seiten den Vorwurf, die Anderen würden speziell zum NATO-Gipfel eine Aktion planen (false flag). Hauptsächlich drehen sich die Anschuldigungen nach wie vor um das Kernkraftwerk Saporischschja. Die USA haben jetzt das Spezialflugzeug WC-135R Constant Phoenix, auch „Nuke Sniffler“ („Atomschnüffler“), nach Europa geschickt. Es spürt radioaktive Substanzen in der Luft auf.
Wem würde ein Anschlag auf das AKW denn nützen? Mal abgesehen von Saporischschja gibt es ja noch weitere im Kriegsgebiet, von diesen spricht keiner, sie sind jedoch genauso gefährdet. Was passiert eigentlich dort? Aktuell ist jegliche Aufmerksamkeit auf Saporischschja gelenkt...
Und, m.E. katastrophal und einfach nicht zu fassen:
die Lieferung von Streumunition der USA an die Ukraine.
Diese Munition ist weltweit geächtet! Und während sich auch bereits NATO-Länder eindeutig dagegen geäußert haben, fällt unserer Bundesregierung nichts weiter dazu ein als: Eigentlich wollten sie das ja auch nicht, aber sie hätten "Verständnis" dafür. Das Wort Verständnis habe ich in den ganzen letzten 1,5 Jahren nicht von unserer Bundesregierung gehört, aber jetzt im Zusammenhang mit der Lieferung von Streumunition, die Menschen zerstückelt und selbst nach dem Krieg noch spielende Kinder?! Ich dachte immer wieder, grauenhafter kann es doch gar nicht werden, aber sie toppen alles immer und immer wieder...
Aufgrund des weltweiten Widerstands sahen sich die USA heute wohl gezwungen, sich bereits zweimal öffentlich zur Entscheidung zu äußern. Erst gab es als Rechtfertigung doch tatsächlich die Aussage, die Ukraine hätten unterschrieben, die Munition "vorsichtig" einzusetzen. Das kann doch nicht ihr Ernst gewesen sein!? Was für eine Reaktion erwarten sie denn darauf: ach so, ganz vorsichtig, ja dann, ich dachte schon, aber so...? Später äußerte sich Präsident Biden dann noch einmal und meinte, die Munition würde ja nur "als Übergangslösung" eingesetzt.
Man kommt sich langsam vor wie in einem Horrorfilm und man muss hilflos zusehen...
Vor dem Gipfel: Warum Schweden nicht der Nato beitreten sollte
"Die USA drängen. Sollte die Türkei nächste Woche grünes Licht geben, wäre der Weg frei für Schweden. Die Nato-Expansion macht Europa aber unsicherer. Ein Blick hinter die Kulissen...
Man sollte sich dabei vor Augen halten, warum die Nato gegründet wurde und welchen tatsächlichen Zweck sie verfolgt. Offiziell wurde im Kalten Krieg darauf verwiesen, dass das Militärbündnis Westeuropa vor den sowjetischen Invasoren schützen soll, die jederzeit zum Angriff bereit seien, während in den Medien permanent vor der russischen Bedrohung gewarnt wurde.
Wie wir aus unterschiedlichen Quellen wissen, sahen die US-Planer in Russland jedoch überhaupt keine militärische Bedrohung, sondern eine ideologische und politische. Ein einflussreicher Kopf im Kalten Krieg, George Kennan, hat das klar ausgedrückt...
US-Präsident Bill Clinton brachte die neue Nato-Doktrin so auf den Punkt (-> siehe auch verlinkter Artikel unten): "einseitig zu handeln, wenn es notwendig ist", um lebenswichtige Interessen zu verteidigen, wie z.B. "den ungehinderten Zugang zu wichtigen Märkten, Energielieferungen und strategischen Ressourcen zu gewährleisten."...
Dafür wurde das Konzept der "humanitären Intervention" entwickelt, ein Sonderrecht, das ausschließlich für die USA und ihre Nato-Verbündeten gilt...
Mit dieser Doktrin marschierte man in den Balkan und in Afghanistan ein. Der Globale Süden protestierte gegen das Konzept und die illegalen "humanitären Interventionen". Die Einwände wurden aber nicht einmal zur Kenntnis genommen...
Die weitere Ausdehnung des Nato-Gebiets dient ja lediglich dazu, die Konfrontation mit Russland, einem Land, das sich von dem gegnerischen Militärbündnis seit den 1990er-Jahren zunehmend eingekreist fühlt (-> siehe auch verlinkter Artikel unten), weiter zu verstärken, was über Bande auch die Blockverhärtung mit China vorantreibt.
Das macht niemanden in Europa und der Welt sicherer. Im Gegenteil. Die Nato ist ja nicht, wie oben geschildert, eine gemeinwohlorientierte Allianz, sondern ein hochgerüstetes Militärbündnis mit aggressiven globalen Dominanzinteressen, angeführt von den Vereinigten Staaten..."
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